Es mag ein sehr deutsches Phänomen sein, dass man als Krebspatient einen Schwerbehinderten-Ausweis beantragen kann. Jedenfalls habe ich das aus der Reaktion meiner amerikanischen Freunde geschlossen. Mir wurde die Beantragung des Schwerbehinderten-Ausweises im Krankenhaus von der Psychoonkologin und auch von meiner Frauenärztin sehr ans Herz gelegt. Natürlich habe ich mich gefragt, ob sich ein Antrag lohnt. Und ich hatte auch zugegebenermaßen einige Wochen ein mentales Problem mit der Vorstellung jetzt "schwebehindert" zu sein.
Nachteilsausgleich und Heilungsbewährung
Grundsätzlich soll ein Schwerbehindertenausweis Nachteile ausgleichen, die Menschen haben, die am normalen, altersgerechten Leben nicht mehr ohne Einschränkungen teilnehmen können. Dieses Recht ist im Sozialgesetzbuch verankert und gilt somit auch für Krebspatienten. In der Regel wird eine Schwerbehinderung bei der Diagnose Brustkrebs zu 50% anerkannt. Allerdings wird der Ausweis für einige Jahre zeitlich begrenzt. Die Zeit nennt man im Beamtendeutsch "Heilungsbewährung". Ein bisschen erinnert mich das an "Bewährung", wenn man aus dem Knast kommt. Ist auch da die Frage, ob man rückfällig wird. Sehr speziell!
Lohnt sich der Aufwand?
Die Frage, ob sich der Aufwand lohnt, den Ausweis zu beantragen, kann und muss sich jeder selbst beantworten. Ich habe mich aus zwei Gründen dafür entschieden: 1. man hat Anspruch auf 5 zusätzliche Tage Urlaub - was ich sehr gut finde, weil Krebs zu haben ganz schön anstrengend ist und 2. hat man einen besseren Kündigungsschutz. Weiß man vorher auch nie, ob man das nicht vielleicht doch mal braucht. Was die zusätzlichen Pauschbeträge bei der Einkommenssteuer und Lohnsteuer wirklich bringen, werde ich sehen. Die Ermäßigungen bei Museumsbesuchen finde ich grundsätzlich auch gut und sinnvoll. Ich persönlich muss aber zugeben, dass es schon ein sehr merkwürdiges Gefühl ist, wenn man den Ausweis das erste Mal an der Museumskasse zeigt, um 2 Euro Nachlass zu bekommen.
Abenteuer Online Beantragung
Weil die analoge Beantragung des Schwerbehinderten-Ausweises ungefähr so charmant ist wie das Ausfüllen der Steuererklärung, habe ich nach der Möglichkeit gesucht, den Antrag online zu stellen. Die Online-Beantragung ist zwar möglich, aber tatsächlich eine ziemliche Herausforderung. Ich würde mich als extrem online-affin bezeichnen. Bevor ich zu "goldenen Öffnungszeiten" (also dann, wenn ich auch arbeite) auf ein Amt gehe, um einen Antrag abzugeben, quäle ich mich lieber durch schlecht gemachte Online-Formulare. In Corona-Zeiten erst recht. Allerdings hat mich dieser Antrag einiges an Geduld gekostet. Die größte Herausforderung war tatsächlich die Authentifizierung mit dem maschinenlesbaren Personalausweis. Und die Tatsache, dass öffentliche Einrichtungen wahrscheinlich einfach gar nicht auf die Idee kommen, ihre Formulare von Usability-Experten optimieren und umsetzen zu lassen.
In vierzehn Schritten zum Online-Antrag
Bereits der erste Schritt ist die größte Hürde: Die Ausweis-App2 auf dem iPhone dazu zu überreden, sich mit dem Laptop zu koppeln und Daten aus dem Personalausweis einzulesen. Ich arbeite selbst in einer Softwarefirma und kann denke ich mit gutem Gewissen behaupten, dass ich einiges an Erfahrung mit Online-Anwendungen habe - aber ich muss schon sagen: DAS war alles andere als einfach. X-Mal wurde der Ausweis nicht erkannt, dann brach die Verbindung zum iPhone wieder ab und es gab zig Fehlermeldungen. Aber ich kann auch hartnäckig sein! Nach diversen Versuchen ist er mir tatsächlich gelungen, mich mit meinem Personalausweis zu authentifizieren.
Nach dem zehnten Schritt zurück auf Start
was mich etwas aus der Fassung bringt sind online Formulare, die nicht automatisch zwischenspeichern. Nach dem zehnten Schritt wollte ich zurück auf den dritten Schritt und schwupps war alles weg. Na ja, der erste, schwierigste Schritt war noch da. Immerhin. Also habe ich alles noch einmal eingegeben und nach jedem Schritt nach unten gescrollt, um zwischenzuspeichern. Aus Fehlern wird man klug. Nach erfolgreicher Übermittlung dann die Aussage: "Die Prüfung Ihres Antrags kann mehrere Monate dauern." Wow! Umso größer war die Überraschung, als der Ausweis zwei Wochen später schon in der Post war.